Willkommen zu einer neuen Folge des Podcasts „Gelassen älter werden“, in dem wir heute ein besonders sensibles und bewegendes Thema ansprechen: das Sterben. Unsere heutige Gästin ist Julia Kalenberg, die Autorin des Buches „Und jetzt zeigst du uns, wie Sterben geht“.
In ihrem Buch erzählt Julia die bewegende Geschichte ihres Vaters, dessen letzte Monate und die tiefen Einblicke, die sie daraus gewonnen hat. Gemeinsam mit Julia reflektieren wir über die Bedeutung, offen über den Tod zu sprechen und wie dies unser Leben bereichern kann.
Inhalt
Inspiration für das Buch „Und jetzt zeigst du uns, wie Sterben geht“
Julia berichtet, dass der Tod ihres Vaters im Frühjahr 2020 sie dazu inspiriert hat, dieses Buch zu schreiben. In den offenen Gesprächen mit anderen Menschen über Tod und Sterben fand sie den Mut, sich den schwierigen Momenten zu stellen, anstatt wegzuschauen. Eine wichtige Rolle spielte auch eine Begegnung auf dem Jakobsweg, wo eine Mitpilgerin sie ermutigte, ihre Erfahrungen aufzuschreiben.
Der Titel des Buches
Der Titel „Und jetzt zeigst du uns, wie Sterben geht“ entstand aus einer tiefen Erkenntnis. Julia reflektiert, wie ihr Vater sie und ihre Geschwister durchs Leben begleitet hat und nun auch im Sterben ein Vorbild für sie war. Der Verlag war von diesem authentischen und bedeutungsvollen Titel ebenfalls sofort überzeugt.
Die letzten Monate mit dem Vater
Julia beschreibt die letzten Monate mit ihrem Vater als eine Zeit voller Emotionen und bedeutungsvoller Momente. Trotz der anfänglichen Schockdiagnose Lungenkrebs konnten sie diese Zeit aktiv gestalten und durch Gespräche und Tagebuchaufzeichnungen die Erlebnisse verarbeiten. Besonders wertvoll war, dass sie aufgrund der Pandemie-Situation ihren Vater im Krankenhaus besuchen durfte.
Abschiedsnachrichten
Eine besondere Idee ihres Vaters war es, sich noch zu Lebzeiten von Freunden und Bekannten zu verabschieden. Julia und ihr Bruder sammelten Nachrichten, die ihrem Vater vorgelesen wurden. Dies ermöglichte einen bewussten und liebevollen Abschied, auch wenn es am Ende für ihren Vater zu viel wurde und sie dies entsprechend dosierten.
Gestaltung der letzten Zeit
Eine intensive Erfahrung war die gemeinsame Übung zur „gewünschten Zukunft“, die Julia mit ihrer Familie durchführte. Dabei stellten sie sich vor, wie sie auf die letzte Zeit mit ihrem Vater zurückblicken und wofür sie dankbar sein würden. Diese Übung half ihnen, ihre Bedürfnisse auszudrücken und die verbleibende Zeit bewusst und wertschätzend zu gestalten.
Persönliches Wachstum und Erkenntnisse
Julia betont, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod und Sterben sie tief geprägt und in ihrem persönlichen Wachstum enorm weitergebracht hat. Sie hat gelernt, wie wichtig es ist, offen über diese Themen zu sprechen und sich aktiv einzubringen, um die Zeit des Abschieds sinnvoll zu gestalten.
Hoffnung im Abschied
In ihrem Buch beschreibt Julia, wie sich die Hoffnung im Laufe der Zeit verändert hat. Anfangs war die Hoffnung, dass ihr Vater gesund wird, doch schließlich wich diese einer Zuversicht, dass sie die letzte Zeit gemeinsam gut gestalten können.
Zusammenführung von Beruf und persönlichem Erleben
Julia plant, ihre Erfahrungen und ihre berufliche Expertise als Leadership-Trainerin und Coach zusammenzubringen, um Unternehmen dabei zu unterstützen, Räume zu schaffen, in denen offen über Tod, Sterben und Verletzlichkeit gesprochen werden kann. Sie ist überzeugt, dass dies zu einem besseren Miteinander und einer tieferen Verbindung innerhalb von Teams führen kann.
Zusammenfassung der wichtigsten Learnings:
- Offenheit im Gespräch: Der Mut, offen über Tod und Sterben zu sprechen, kann helfen, die Zeit des Abschieds aktiv zu gestalten.
- Bedeutung der Gemeinschaft: Die Einbindung von Familie und Freunden kann den Abschied erleichtern und für wertvolle gemeinsame Erinnerungen sorgen.
- Gestaltungsspielräume nutzen: Auch in schwierigen Zeiten gibt es Möglichkeiten, den Prozess mitzugestalten und eigene Bedürfnisse einzubringen.
- Hoffnung und Zuversicht: Die Hoffnung kann sich wandeln, von der Genesung zur Zuversicht, die letzte Zeit gut miteinander zu verbringen.
- Verbindung von Beruf und Privatleben: Erfahrungen aus dem persönlichen Erleben können in den beruflichen Kontext eingebracht werden, um eine tiefe, empathische Zusammenarbeit zu fördern.
- Selbstwirksamkeit und Wachstum: Die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Tod kann zu persönlichem Wachstum und einer gestärkten Selbstwirksamkeit führen.
Wir danken Julia Kalenberg herzlich für ihre Offenheit und die tiefen Einblicke in ihre Erfahrungen. Ihr Buch „Und jetzt zeigst du uns, wie Sterben geht“ ist ein wertvoller Beitrag, um das Thema Sterben in unserer Gesellschaft aus der Tabuzone zu holen und offen darüber zu sprechen.
Abschließend möchten wir unsere Hörerinnen und Hörer ermutigen, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und die Zeit, die uns bleibt, bewusst und wertschätzend zu gestalten.
Die Methode „Gewünschte Zukunft“
Im Gespräch schildert Julia Kalenberg eine bemerkenswerte Methode, die sie gemeinsam mit ihrer Familie angewandt hat, um die letzte Zeit mit ihrem Vater bewusst und positiv zu gestalten. Diese Methode nennt sich „gewünschte Zukunft“ und ist ein Konzept aus der lösungsfokussierten Therapie und dem Coaching. Sie hilft, sich auf positive Aspekte und Möglichkeiten zu konzentrieren, anstatt sich in Defiziten und negativen Gefühlen zu verlieren. Hier ist eine detaillierte Beschreibung dieser Methode, wie sie von Julia und ihrer Familie angewendet wurde:
Die Methode Schritt für Schritt
- Einführung und Erklärung:
- Julia erklärte ihrer Familie die Idee der „gewünschten Zukunft“, inspiriert von einem lösungsfokussierten Kollegen.
- Die Familie setzte sich zusammen und stellte sich vor, wie sie am Ende des Lebens ihres Vaters zurückblicken würden.
- Erstellung eines Plakats:
- Julia klebte vier Blätter Papier zusammen, um eine große Fläche zu schaffen, die als visuelles Hilfsmittel diente.
- In die Mitte des Plakats schrieben sie den Titel „Letzte schönste Zeit“ – ein positiver und hoffnungsvoller Name für die verbleibende gemeinsame Zeit.
- Reflexion und Austausch:
- Jeder in der Familie durfte auf das Plakat schreiben. Sie beantworteten Fragen wie:
- Wofür sind wir dankbar?
- Welche Stärken haben uns geholfen?
- Wie haben wir die Zeit miteinander gestaltet?
- Diese Übung ermöglichte es jedem, seine Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken, ohne direkt auf Konfrontation zu gehen.
- Jeder in der Familie durfte auf das Plakat schreiben. Sie beantworteten Fragen wie:
- Einbindung des Vaters:
- Julia brachte das Plakat ins Krankenhaus zu ihrem Vater und fragte ihn, ob er etwas hinzufügen möchte.
- Ihr Vater fügte das Wort „Frieden“ hinzu, was für ihn von zentraler Bedeutung war.
- Erweiterung auf die erweiterte Familie:
- Am nächsten Tag oder übernächsten Tag wurden die Ehepartner und Kinder hinzugezogen, die ebenfalls auf das Plakat schreiben durften.
- Dies förderte ein Gefühl der Gemeinschaft und Verbundenheit über den engsten Familienkreis hinaus.
- Aktive Gestaltung der Zeit:
- Die Familie nutzte die Erkenntnisse aus der „gewünschten Zukunft“-Übung, um die letzte Zeit mit dem Vater aktiv und bewusst zu gestalten.
- Sie organisierten zum Beispiel, dass Freunde Abschiedsnachrichten schicken konnten und versuchten, möglichst viel Zeit miteinander zu verbringen.
Vorteile der Methode
- Förderung der Kommunikation: Diese Methode half der Familie, offen über ihre Wünsche und Bedürfnisse zu sprechen, ohne direkte Konfrontation.
- Fokus auf das Positive: Indem sie sich auf positive Aspekte konzentrierten, konnten sie die schwere Zeit mit Hoffnung und Zuversicht füllen.
- Gemeinsame Gestaltung: Die aktive Einbindung aller Familienmitglieder schuf ein Gefühl der Gemeinschaft und der gemeinsamen Verantwortung.
- Bewältigung der Trauer: Das bewusste Gestalten der letzten gemeinsamen Zeit half der Familie, die Trauer besser zu bewältigen und Frieden zu finden.
Anwendung im Alltag und Beruf
Julia ist überzeugt davon, dass diese Methode nicht nur in der Sterbebegleitung wertvoll ist, sondern auch im beruflichen Umfeld große Vorteile bringen kann. Sie untersucht, wie Teams und Organisationen von der Anwendung der „gewünschten Zukunft“-Methode profitieren können, um über schwierige Themen wie Tod und Trauer zu sprechen. Sie glaubt, dass ein offener Umgang mit diesen Themen zu einem besseren Miteinander und einer tieferen Verbindung innerhalb von Teams führen kann.
Die Methode „gewünschte Zukunft“ zeigt eindrucksvoll, wie wichtig es ist, sich aktiv mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen und gemeinsam nach positiven Lösungen zu suchen. Julia Kalenbergs Erfahrung und ihr Buch sind inspirierende Beispiele dafür, wie diese Methode Menschen helfen kann, schwierige Zeiten zu meistern und dabei inneren Frieden und Gemeinschaft zu finden.
Hier geht es zur Homepage von Julia: https://www.juliakalenberg.ch/
Hier sind zwei Hinweise auf weitere Folgen, die sich mit den Themen Trauer, Abschied, Vergänglichkeit und selbstbestimmtes Sterben befassen:
Mit Dr. Ina Schmidt: https://gelassen-aelter-werden.de/ueber-die-vergaenglichkeit/
Mit Christine Kempkes: https://gelassen-aelter-werden.de/trauer-kennt-kein-alter/
Mit Suzann Viola Renninger: https://gelassen-aelter-werden.de/35-selbstbestimmt-sterben-gerade-auch-im-alter/
Bertram Kasper ist Podcaster, Blogger, Autor, Speaker, Altersstratege und wird gerne als Visionär in Sachen Älterwerden bezeichnet. Ihm ist es ein Anliegen, mit seinem Podcast, seinem Magazin und mit seinen Vorträgen einen differenzierten Blick auf das Älterwerden zu werfen.
Hier auf seiner Internetseite können Sie seinen Podcast hören, in seinem Magazin lesen und ihn für Vorträge buchen.